SYNE MITCHELL
Vexierring
»Du musst mir helfen«, bat die Fremde vor ihrer Tür und hielt ihr ihren silbernen Trauring hin, ein armseliges Knäuel von sechzehn schmalen Reifchen. Quiocet schaute an ihr vorbei, verschaffte sich schnell einen Überblick über die Straße. Erst als sie sicher war, dass die wirklich leer sei, sah sie auf den hingehaltenen Ring hinab: Vom Finger abgezogen, war er, ganz wie er es sollte, auseinander gefallen. »Wenn du deinem Manne nicht treu sein kannst, warum hast du ihn dann geheiratet?«
Da warf die junge Frau einen Blick über die Schulter zurück, als ob jedes laute Wort ihren Gatten aus dem Heiligen Krieg holen könnte. »Aus den üblichen Gründen. Mein Vater …«
»Du hättest dich weigern können«, schnitt ihr die Priesterin des Geheimkults der Klugen Göttin jäh die Entschuldigung ab. »Der Orden hat das Recht auf freie Gattenwahl hart erkämpft. Warum hast du keinen Gebrauch davon gemacht?«
Die junge Frau in dem weiten weißen Gewand der potenziellen Kriegerwitwe, das sie bis zu der möglichen glücklichen Heimkehr ihres Mannes trug, reckte sich und sagte: »Ich hatte meine Verpflichtungen, meine Eltern waren sehr arm …«
»Und dein frisch gebackener Ehemann ist sehr reich?«
»Ja, doch«, fuhr die Fremde fort. »Aber ich wusste nicht, wie grausam er ist … Was ich dir Schreckliches erzählen könnte!«, hauchte sie errötend. »Muss ich es mir vorwerfen lassen, in seiner Abwesenheit anderweitig Trost zu suchen?« Sie strich sich eine Haarsträhne aus ihrem glatten, ovalen Gesicht, und der Hauch eines Lächelns trat auf ihre Lippen. »Schließlich nehme ich meinem Mann ja nichts. Sein Part von mir wird nicht kleiner, nur weil ich ihn derweil mit einem anderen teile!«
»Und was ist mit den Söhnen, die er zu Eigen haben will?«
»Kein Grund zur Sorge! Nicht eine seiner vier Frauen hat ihm Kinder geboren. Er wird mich nicht mit einer Schwangerschaft belasten.«
Quiocet verdrehte die Augen – so viele Hilfesuchende im Haus der Klugen Göttin, aber so wenige der Hilfe wert und würdig. Und die, die zum Dienst an Menomy taugten, bedurften selten ihrer Gunst und Gnade. Die Priesterin seufzte. Das machte es ja nicht leichter, Mittel für den Tempel zu beschaffen. Aber vielleicht wollte die Göttin nur, dass ihre Dienerinnen immer einfallsreicher würden bei ihrer Jagd auf die Rupien …
Die Bürde ihres Amtes lastete nun schwer auf ihr. Der letzte Triumph des Tempels lag inzwischen Jahre zurück. Da hatten sie den Sultan mit viel Geschick dazu überredet, seine Tochter dem Spross aus einem adligen Haus von Ziegenherdenbesitzern zu versprechen. Da er das nicht rückgängig machen konnte, ohne sein königliches Wort zu brechen, hatte er die Proklamation erlassen, jede Frau könne einen ihr nicht genehmen Bräutigam zurückweisen … Wie der Zufall es wollte, war da ein dem Tempel gewogener Schreiber dabei gewesen und hatte das Wagnis auf sich genommen, den Sultan zu bitten, sein Wort zu besiegeln. Und das hatte der in seiner Wut dann auch getan. So war es dann Gesetz geworden …
Die untreue Ehefrau schüttelte ihren aufgegangenen Ring, dass er hell wie das Glöckchen einer Tänzerin klirrte. »Wirst du mir helfen?«
»Frag einen Juwelier!«, erwiderte Quiocet ihr mit abweisender Handbewegung.
»Die sind nicht diskret!«
Soll heißen, dachte Quiocet, die wüssten gut, dass sie doppelt dabei verdienen könnten: indem sie sich von der Frau für den Dienst und von ihrem Mann für den Tipp bezahlen ließen …
»Du hast den Tribut?«
Die junge Frau nickte, langte tief in ihr Gewand und brachte eine pralle Börse zum Vorschein.
Quiocet ließ die Gabe lautlos im rechten Ärmel verschwinden und machte sich mit einer in Jahren des Stickens und Webens erlangten Fingerfertigkeit daran, den Ring zusammenzufügen. Zuerst nahm sie den Vater- und den Mutterreif und schmiegte sie aneinander. So gekreuzt, formten diese geraden Glieder das Sinnbild der Ewigkeit und ehelichen Gemeinschaft. Sodann fügte sie die zickzackförmigen Kinderreifen – immer der eine den anderen kreuzend –zwischen die der Eltern. In Sekunden war alles geschafft.
»Das sah überhaupt nicht schwer aus«, meinte die junge Frau.
Das war doch das Dümmste, was Quiocet an diesem ganzen Abend gehört hatte!
Die junge Frau schob sich schnell den wiederhergestellten Trauring auf ihren Goldfinger. Nun, da ihr Leben gerettet war, schien sie nicht allzu viel Dankbarkeit zu verspüren. Wahrscheinlich überlegte sie nur, wie sie ihren Geldverlust – den an die Priesterin gezahlten Tribut – wettmachen könnte.
Und damit verschwand sie wieder im Dunkel der Stadt, aus dem sie aufgetaucht war.
Quiocet seufzte. Sind wir so weit gekommen?, fragte sie sich, wie sie in ihrer Tür stand und auf die nächste gestrauchelte Frau wartete.
Als die junge Frau am Abend darauf wiederkam, wurde Quiocet misstrauisch. Normalerweise verzichteten Frauen, die die Wut ihres Ehemannes gefürchtet hatten, auf weitere Seitensprünge oder lernten zumindest, den Trauring auf einen fingerdicken Stock zu wechseln, ohne dass er auseinander fiel.
So spähte sie angestrengt ins Dunkel – nach Anzeichen dafür, dass dort Stadtwächter lauerten. Denn wenn bekannt würde, dass der Orden untreuen Ehefrauen half … der Sultan hatte ihnen diese List ja bis heute nicht verziehen! Er konnte natürlich nicht zugeben, von einigen klugen Frauen hereingelegt worden zu sein, hegte aber gegenüber den Dienerinnen Menomys einen tiefen Groll und hätte sich über nichts mehr gefreut als über deren Diskreditierung.
Gesenkten Blickes, mit dem wieder aufgegangenen Ring in der ausgestreckten Hand, stand die junge Frau da und sagte: »Es sah so leicht aus, als du ihn repariert hast, dass ich …«
Menomy schütze und bewahre uns vor arroganten Toren, grollte Quiocet bei sich.
»Du musst …«
»Ich tue nichts dergleichen!«, fauchte Quiocet und spähte nun wieder die Straße hinab – sah aber nur eine Ratte, die unter einem Haus verschwand. »Versuch es im Tempel der Toren. Mit deinem Verhalten huldigst du sowieso ihrem Gott!«
Die Fremde verzog ihr hübsches Gesicht und ein paar Tränen traten in ihre schwarzen Mandelaugen. Nicht einmal rote Flecken hat sie, sagte Quiocet sich böse. Selbst beim Weinen ist sie noch schön!
Und sie gab ihr einen Stoß und zischte: »Heul mir hier nicht rum, verschwinde lieber!«
Die junge Frau schniefte einmal, und schon waren ihre Tränen wieder verschwunden, so schnell, wie sie gekommen waren. »Du musst mir helfen! Wenn mein Mann erfährt, dass ich ihm untreu war, bringt er mich um! Du hast mir schon einmal geholfen«, rief sie, und ihre Augen leuchteten von einer Eingebung auf. »Und wenn ich sterben muss, werde ich jedenfalls nicht allein sterben.«
Was fällt der Göttin ein, so eine schlau zu machen!, fluchte Quiocet bei sich. Da zog eine Bewegung auf der Gasse drunten ihr Auge auf sich …
Die junge Frau stampfte mit dem Fuß. »Machst du ihn mir nun, oder soll ich schreien und die Wache rufen?«
Verdammt sei sie, das täte die wahrscheinlich sogar! Wieder ganz auf das dumme Ding konzentriert, fauchte Quiocet: »Also gut. Gib ihn her!« Schneller diesmal, weil sie das Design ja kannte, hatte sie den Ring wieder zusammengesteckt. »Und der Lohn?«
»Oh, deine Taten bekommen ihren Lohn«, höhnte die junge Frau und lächelte ein grausames Lächeln. »Du wirst nun bezahlen!« Damit pfiff sie laut und hoch.
Und schon kamen aus dem Dunkel der Ecken und Winkel, aus den Abwässerkanälen, von den Dächern, aus den anderen Verstecken die Stadtwächter gestürzt.
Quiocet fluchte, floh jedoch nicht: Sie war eine kluge Frau, keine schnelle Läuferin. In ihrem mittleren Alter konnte sie nicht einem Dutzend junger Degen zu entkommen hoffen!
Grob wurde sie an den Armen gepackt. Vier schwarz gewandete Kerle stürmten an ihr vorüber ins Haus, um weitere Frauen, die sie eventuell dort fänden, zu ergreifen. Aber der wandschrankgroße Raum, in dem Quiocet ihre Klientinnen empfing, war leer. Nun hörte sie schon irdenes Geschirr splittern und Tisch und Stuhl zu Bruch gehen.
»Wo sind die anderen?«, schnaubte ein Wächter.
»Der Devise der Göttin treu, waren sie klug genug, nicht zu kommen«, erwiderte Quiocet zerknirscht.
Als sie sich umblickte, sah sie, dass die junge Fremde ihren seidenen Sari abgeworfen hatte und in der schwarz und braun gefleckten Robe einer Täuscherin dastand. Aus ganzem Herzen verfluchte sie diese Anhängerin des Gottes der Lüge! Solche Wesen dienten ihrem Gott aus reinster Freude an Chaos und Verwirrung, indem sie Vertrauensselige hinters Licht führten und hereinlegten. Sie verdingten sich jedem, der gut zahlte. Aber nur wenige wagten es, sie, die dem Verrat die Treue gelobt hatten, zu engagieren … Doch hier musste der Sultan die Hand im Spiel haben, das spürte sie genau. Es waren seine Männer, die ihr Atelier verwüsteten!
Sie musterte die junge Frau, die sich da an die Wand lehnte. Wer die Täuscherinnen kannte, wusste, dass das schlanke, ranke Ding womöglich gar kein weibliches Wesen war – immerhin ein kleiner Trost, wenn es die irritierend dumme Frau gar nicht gäbe!
Die Täuscherin rieb Zeigefinger und Daumen gegeneinander. Dieser Lügengott, der viele Namen hatte, war der Erzfeind der Klugen Göttin. Die zum Narren zu halten, die sich ihres Scharfsinns rühmten, war wohl eine besonders große Leistung. Quiocet seufzte. Oh, diese Unsterblichen, dachte sie, tragen ihre Eifersüchteleien eben auf unserem schwachen Rücken aus. O Menomy, hilf deiner Dienerin jetzt!
Aber die Göttin, so sie denn zuhörte, gab ihr kein Zeichen.
Als die Wächter ihre Durchsuchung beendet hatten, zeigte Quiocet ein verstohlener Blick, dass sie Jahre harter Arbeit zunichte gemacht hatten: Die Regale mit ihren Kräutern, Essenzen und Substanzen waren von der Wand gerissen, ihre irdenen Krüge und Töpfe lagen in Scherben! Ihr war nur schleierhaft, wonach sie gesucht haben konnten. Bis die Täuscherin, mit zufriedenem Kichern, sagte: »Das sollen Kluge Frauen sein? Das sind Analphabetinnen!«
Sie haben nach heiligen Schriften oder einer Mitgliederliste gesucht, dachte Quiocet und lächelte in sich hinein. Aber in Ländern, wo Frauen weder schreiben noch lesen lernen dürfen, müssen kluge Frauen sich doch merken, was sie wissen müssen!
Man brachte Quiocet in das Verlies unter den hohen Mauern des Palastes. Stumm schritt sie den feuchten gemauerten Gang hinunter, vorbei an den Händen, die sich nach dem schwachen Licht der Laterne streckten, die ihr Kerkermeister trug. Es stank nach Urin und Schweiß. Im untersten Stock angekommen, sperrte er sie in die letzte Zelle … Und als er ging, blieb sie ganz allein in völliger Dunkelheit zurück. Die einzigen Geräusche, die sie hörte, waren die des Wassers, das von der Decke tropfte, und das Gehusche der Ratten.
Unfähig, noch von ihrem Verstand Gebrauch zu machen, und mit der Angst, der Sorge als einzigen Gefährtinnen, schlief Quiocet ein.
Vom Dröhnen der Kerkertür droben wurde sie geweckt. Eine Stimme so kultiviert und klar, dass sie leicht bis in ihre Zelle trug, drang an ihr Ohr:
„… ob du es möchtest oder nicht, ich werde diese Gefangene besuchen. Ich, die Sultana, die Tochter Sultans. Und wenn du meinen Zorn scheust, trittst du besser beiseite!«
Interessant! Die Tochter des Himmels muss ja einen dringenden Grund haben, in dieses Loch herunterzukommen, dachte Quiocet und ordnete, mit einem stummen Stoßgebet an ihre Göttin, ihr Gewand, um den hohen Besuch würdig, geziemend zu empfangen.
Schon stand die Sultana, das Gesicht durch die Laterne eines Wärters erhellt, vor ihrem Gitter. Sie war jung, jünger als die angebliche Frau, die Quiocet hereingelegt hatte. Ihr Gesicht war kantig, fest und ansprechend das prägnante, spitze Kinn. Ihr schwarzes Haar, zuerst geknotet und mit goldenen Nadeln hochgesteckt, fiel ihr dann in Zöpfen bis auf die Knie. Ihre Augen waren schwarz wie ihr Haar und sahen wach, aufmerksam drein. Ihre Haut, von Geburt an vor jedem Sonnenstrahl bewahrt, war so glatt und hell wie der klarste Honig.
»Lass uns allein«, befahl sie.
Der Wärter verneigte sich tief, hängte seine Laterne an einen Haken und verschwand.
Auch Quiocet verbeugte sich und sagte: »Ehrwürdigste Herrin, Erwählte …«
»Genug der Förmlichkeiten! Wir haben wenig Zeit. Mein Vater möchte dich morgen früh, zu seiner Zerstreuung, foltern und hinrichten lassen. So wollte ich diese Kluge Frau, die er da gefangen hat, sprechen, solange sie noch bei klarem Verstand ist.«
Quiocet überlief es eiseskalt bei den Worten der Sultana. Was hatte sie nur getan, dass Menomy sie im Stich ließ? Denn sie hatte seit ihrer Gefangennahme ja keinen klaren Gedanken mehr fassen können.
»Ich habe nicht vergessen«, fuhr die hohe Frau fort, »dass es deine Sekte war, die meinen Vater dazu verleitet hat, diesem Ziegenhirten meine Hand zu versprechen. Und ihr wusstet wohl, dass er das einmal gegebene Wort nicht zurücknehmen konnte!«
Quiocet neigte den Kopf. »Das stimmt. Aber wir wussten auch, dass seine Liebe zu dir diese Heirat verhindern würde.«
»Die Liebe zum Besitz, meinst du. Dass seine einzige Tochter in solch ein Haus, und sei es noch so adlig, einheiratet, das hätte er nicht verkraftet. Auch nicht, dass nach ihm ein Clan von Ziegenhirten herrscht.«
»Man hat aber passenden Ersatz gefunden … Du bist glücklich verheiratet, und die Frauen des Reiches haben das Recht zur Ablehnung eines Heiratskandidaten erlangt. Du hast dabei keinen Schaden erlitten.«
Die Sultana kniff die Augen zusammen. »Weshalb so viel wagen, nur um das Los von Frauen, die ihr nie im Leben kennen lernen werdet, zu verbessern?«
Da kam Quiocet eine Idee. Vielleicht konnte sie diese junge und hoch gestellte Frau für ihre gute Sache einspannen! Sie wusste wohl, dass sie ihr Leben verwirkt hatte, nichts zu ihrer Rettung tun konnte … Aber vielleicht könnte sie ins Hirn der junger Herrscherin einen Samen säen, dessen Früchte einmal andere Kluge Frauen ernten könnten …
»Warum einem Ertrinkenden einen Stock hinhalten?«, fragte sie kurz entschlossen. »Weil er ertrinkt, wenn ihm keiner hilft. Die Frauen dieser Stadt, Sultana, sind Ertrinkende. Du bist, seit dem Tod deiner Mutter, Oberhaupt aller Frauen hier. Und du hast sicher von ihrer Pein, ihrem Flehen um Gerechtigkeit gehört. Drängt es dich nun nicht, ihnen zu helfen? War es so falsch, dich einem unpassenden Bräutigam zu versprechen, um Tausenden von Frauen ein ähnliches Los zu ersparen?«
Die Sultana warf ihr einen seltsamen Blick zu. »Ihr seid ein hohes Risiko eingegangen, auf die Liebe meines Vaters zu mir zu setzen!«
»Es ist doch seit langem bekannt, dass die eben seine größte Schwäche ist.«
Die Sultana, mit einem Hauch eines Lächelns auf den Lippen, drehte gedankenvoll den goldenen Vexierring an ihrer Rechten hin und her. »Sag also an, du Kluge: Was täte mein Vater wohl, wenn mein Ring zu solch schändlichem Knäuel würde?«
Eine gefährliche Frage! Und da Quiocet sich unsicher war, ob die Sultana Freund oder Feind war, formulierte sie ihre Antwort überaus sorgfältig: »Wenn das unwahrscheinliche, ja unmögliche Ereignis doch eintreten würde, hätte er bestimmt drei Möglichkeiten: Er könnte einen dingen, der ihn richtet und sodann mit dem Schwert für immer zum Schweigen gebracht wird … oder verkünden, dass derlei Ringverfall kein Beweis für einen Ehebruch sei. Und von diesen beiden dürfte er die erstere bevorzugen, weil sie den Ruf seines Hauses vor jedem Zweifel oder Makel bewahrt.«
Die dritte, dass er die gefallene Tochter dem rachelüsternen Gatten überließe, brauchte sie nicht auszusprechen, so wenig wie die Vermutung, dass dieser dann – Mann, Schwiegersohn und Thronfolger in einem – nur eine Möglichkeit sähe, seine Ehre wieder reinzuwaschen: Nämlich, diese Ehebrecherin hinrichten zu lassen.
»Ich verstehe«, versetzte die Sultana und drehte, drehte den Ring an ihrer Hand, hielt ihn ihr schließlich vor die Augen. »Könntest du auch eine so komplizierte Arbeit richten?«
Ihr Trauring war sehr groß und aus feinem Gold gefertigt. Er zeigte oben ein raffiniertes Geflecht von Reifen, die sich zu dem größten heiligen Knoten fügten, den man sich denken kann. Staunend drehte Quiocet die Hand der Sultana um und zählte die fadendünnen Glieder, die den Ring bildeten – vierunddreißig waren es!
So einen komplizierten Trauring hatte sie noch nie im Leben gesehen: Die Ehre und Tugend der Sultana galt wohl weit mehr als die einer gewöhnlichen Frau. Doch einige der Steckmuster waren ihr bekannt. So erwiderte sie, nach kurzem Nachdenken: »Ich würde es versuchen.«
»Sag mir, Priesterin, würdest du für die Sache der Frauen in diesem Land dein Leben riskieren?«
Zur Antwort wies Quiocet bloß auf die steinernen Mauern, die sie umschlossen.
Die Sultana nickte. »Sei bereit zu gehorchen«, sagte sie und erhob sich nach diesem rätselhaften Schlusswort, raffte ihren Sari gefällig über der Schulter und ging.
Quiocet, wieder allein in ihrer dunklen Zelle, begann, stumm ihre Multiplikationstabellen aufzusagen. Doch diesmal tilgte die heilige Meditation ihre Furcht nicht. So von ihrer Göttin verlassen, in der Festung des Feindes gefangen, müsste sie sich schon etwas sehr Kluges einfallen lassen, wenn sie ihr Leben retten wollte.
Stunden nach Sonnenaufgang kamen bewaffnete Wächter, sie zu holen. Zwei führten sie zwischen sich, ihre Arme fest im Griff; zwei folgten ihr. Ein bisschen viel, dachte sie.
Man brachte sie in den Audienzsaal. Dort warteten schon, auf Satinkissen gelagert, edle getrocknete Feigen und Granatäpfel genießend, ungefähr zwanzig Höflinge verschiedenen Standes auf die Unterhaltung und Zerstreuung dieses Morgens.
Der Täuscher kicherte bei Quiocets Anblick, erhob sich rasch von seinem Sitz, kam mit theatralischer Geste quer durch den Raum auf sie zugetänzelt. »Sie ist ja nicht so klug, wie sie glaubt. Und war nicht einmal so scharfsichtig, meine List zu durchschauen«, höhnte er und lachte böse. »Hat deine falsche Göttin dich verlassen, du elendes Weib?«
Quiocets Antwort ging in dem Lärm unter, mit dem nun die bronzebeschlagene Mahagonitür aufflog. Behände kam eine Gestalt hereingerauscht – die Sultana!
»O Vater!«, rief die Tochter des Sultans. Ihr rot und golden gestreifter Sari wehte ihr hinterdrein, und vier Dienerinnen verschiedenen Ranges folgten ihr auf den Fersen. Aller Augen richteten sich auf dieses neue Spektakel, und die Wächter, die Quiocet festhielten, lockerten ihren Griff.
Nun kniete die Sultana sich neben ihren Vater und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er lief tiefrot an im Gesicht und starrte Quiocet vorwurfsvoll an … Doch die Sultana flüsterte weiter auf ihn ein.
Da nickte der Herrscher kurz und rief: »Bringt diese Frau da her!«
Die Sultana winkte ihre Sklavinnen in das private Ratszimmer ihres Vaters. Als jedoch der Täuscher aufsprang, um ihnen zu folgen, verwies sie ihm das mit rascher Geste … Da funkelte er hochroten Gesichts Quiocet an, als ob sie das alles irgendwie arrangiert hätte.
Verglichen mit dem Audienzsaal, war dieser Besprechungsraum sehr spartanisch: Ein Kartentisch aus Olivenholz – mit einer geschnitzten Reliefkarte des Reichs – und Baumwollkissen als Sitzgelegenheiten darum, das war die ganze Einrichtung. Der Sultan setzte sich an der einen Seite des Tisches, und die Sultana kniete, das Gesicht von Tränen der Angst überströmt, vor ihm nieder.
»Oh, bester Vater! Ich war in der Küche, mit Hsfrala hier«, weinte sie und wies kurz auf ihre Zofe, eine höher gestellte Dienerin, »und da dachte ich, was für ein Spaß es wäre zu lernen, wie man diesen Honigkuchen bäckt, den du so gerne magst …«
»Das ist keine Aufgabe für eine Sultana …«
»Ich weiß, Vater«, seufzte sie und schlug sich an die Brust. »Aber bei dem Gedanken, dir mit einem Kuchen von meiner Hand eine Freude zu bereiten, siegte meine Tochterliebe über die nüchterne Vernunft. So ließ ich mir von Fatima und Yolanda«, sie wies auf die beiden Küchensklavinnen, »eben zeigen, wie es geht.« Erinnerungsschwer starrte sie dann auf ihre Hände. »Aber beim Teigkneten kam mir etwas von dem klebrigen Zeug … unter meinen Ring. Und als ich ihn drehte, gerade genug, um den Teig darunter hervorzuholen …«, jetzt schluchzte sie so wild, dass es sie am ganzen Leibe schüttelte, »meine Hände waren von der Butter glitschig, und als ich den Ring drehte, o Vater!, flog er mir quer durch den Raum und zerlegte sich zu … diesem da!«
Damit ließ sie das Ringwirrwar vor ihm auf den Boden fallen und warf sich ihm laut aufschluchzend zu Füßen.
Der Sultan riss die Augen auf … der aufgelöste Ring war der untrügliche Beweis für Ehebruch! »Tochter«, grollte er, »ist es wirklich so passiert?«
Da trat der Priester vor, der hinter den Sklavinnen gewartet hatte, ein hoch gestellter Alter, und verbeugte sich tief und sprach: »Es war alles genau so, wie es deine Tochter gesagt hat. Ich war in der Küche, um mir nach der morgendlichen Meditation eine Erfrischung zu holen. Der Ring ging ab und flog in den Teig.«
Wie bei einem Vexierring fügte sich da eins zum anderen und sodann zum Ganzen: Der Priester war zu alt, um der Geliebte der Sultana sein zu können. Seine Robe wies ihn als Diener Amans aus, der Gottvater und Gott der Wahrheit und Klarheit war – sein Wort war deshalb über jeden Zweifel erhaben. Die Küchensklavinnen, ja, selbst die höher gestellte Zofe, hätte man beseitigen können … aber einen Priester von Aman? Sein Verschwinden hätte einen Aufruhr und Religionskrieg in Stadt und Reich auslösen und alles in Brand setzen können.
Da verfinsterte sich das Gesicht des Sultans, wie der Himmel vor einem Sandsturm, und sein Mund bebte vor heißer Wut. Die Küchensklavinnen warfen sich gleich vor Angst zu Boden, ja, hätten sich am liebsten unter die Fliesen verkrochen. Die Zofe rückte unruhig hin und her, und die Sultana weinte und klagte, dass es einem das Herz zerriss. Nur der Priester sah dem Sultan seelenruhig ins Gesicht, so sicher war er sich wohl, dass ihm selbst kein Leid geschehen konnte.
»Hier, Frau«, herrschte der Sultan nun Quiocet an. »Verdiene dir deine Freiheit, bring das in Ordnung!« Damit warf er ihr das aufgegangene Schmuckstück zu.
Quiocet fing es auf. Hoffnung flammte auf in ihrer Brust. Er hatte ihr sein Wort gegeben, der Priester war Zeuge gewesen. Nach alter Tradition war es jetzt Gesetz. Wenn sie den Ring zusammensetzen konnte, musste der Sultan sie freilassen.
Mit flinken Fingern begann sie, die Glieder zusammenzufügen. Doch da ließ ein Hüsteln sie aufsehen – gerade in den Blick der Sultana hinein. Fest sah die sie an und schüttelte kaum merklich den Kopf. Sollte sie sich geschlagen geben? Das war doch Wahnsinn – das könnte sie ja beide das Leben kosten! Da fielen ihr die Worte der Sultana wieder ein: »Sei bereit zu gehorchen.« Und plötzlich offenbarte sich ihr deren Sinn, so wie das Geheimnis dieses Rings.
Voller Konzentration verbog sie einen Reif. Bedacht und bewusst verbog sie ihn so, dass er dem gleich und zum Zwilling wurde, mit dem er sich vereinen sollte. Nun ließe sich der Ring nie mehr zusammenfügen! Doch war ihr Eingriff so subtil, dass nur der Goldschmied, der ihn gefertigt, diese Veränderung hätte bemerken können … aber der war ja, wie üblich, sofort nach Beendigung seiner Arbeit getötet worden, damit kein Lebender je das Geheimnis dieses Rings erführe.
Dann fiel das edle Stück, mit einem letzten Schwung, in sich zusammen. Zunichte ihre Kunst und zunichte auch die Hoffnung auf ein Pardon … Den Kopf gebeugt vor echtem Gram und Kummer, sprach die Priesterin ruhig: »Sultan, diese Aufgabe übersteigt meine bescheidenen Fertigkeiten.«
Der Sultan tobte. »Hol den königlichen Goldschmied!«, befahl er dem einen Wächter und dem anderen: »Schick den Hof nach Hause, an so einem unheilträchtigen Tag wird nicht gefeiert, und sieh zu, dass niemand den Raum betritt oder verlässt.« Und dann drohte er der Sultana mit der Faust und stöhnte: »Ach, Tochter, du bist noch einmal mein Tod!«
Die hatte sich wieder gefasst, saß mit untergeschlagenen Beinen auf den Fliesen und ließ sich von ihrer Zofe das Haar kämmen und bürsten und rieb sich noch den Finger, an dem ihr Trauring gesessen hatte.
Wie riss der Goldschmied beim Anblick ihres aufgelösten Rings vor Angst die Augen auf! Sah klar, dass ihm der Tod gewiss war – im Falle eines Erfolgs wie bei seinem Scheitern. Kein Gold der Welt könnte verhindern, dass da Gerüchte über die Tochter des Himmels aufkämen … Zitternd warf der Ärmste sich seinem Herrn zu Füßen.
»Radhis Werk kann ich nicht richten, Sultan … Dieser größte aller Meister, Gott gebe seiner Seele ewige Ruhe, überragte mich, wie du den Höchsten deiner Diener überragst.«
»Du wirst es versuchen«, knurrte der Sultan bloß und hob die Hand.
Da trat einer der bulligen Wächter hinter den Meister, hielt das Schwert bereit, für den Fall seines Versagens.
Mit zitternder Hand unternahm der Arme den Versuch, den Ring zu richten. Oh, er tat Quiocet von Herzen Leid! Solche Angst fühlte er, dass er nicht einmal den ersten Schritt schaffte – die fünf Paare der Mutter- und Vaterglieder zu vereinen. Nur drei Sätze bekam er zusammen, dann fiel ihm vor Zittern doch wieder alles durcheinander. Auch ohne ihre Sabotage wäre er verloren gewesen, ein dem Tode geweihter Mann …
Der Sultan musterte den ungeschickten Goldschmied mit finsterem Blick und sagte: »Tochter, ich fürchte, deine Tollheit wird dir diesmal das Genick brechen. Diese Situation könnte mich überfordern.«
»Es gibt noch eine andere Möglichkeit«, warf Quiocet da ein, mit einer Stimme so hoch, dass sie bis in jeden Winkel dieses Raums trug.
»Was? Sprich, Frau!«
»Der Fall belegt, was man auf dem Markt längst raunt. Solch ein Trauring ist kein sicherer Treuemeter. Jede untreue Frau täuscht ihn mit nicht mehr als einem fingerdicken Stock. Und umgekehrt kann eine so untadelige und ehrbare Frau wie deine Tochter seinetwegen zu Unrecht hingerichtet werden.«
Also sprach Quiocet. Und wie die Worte aus ihr kamen, spürte sie Menomy auf ihren Schultern. Welches Spiel spielte die Göttin denn mit ihr armer Sterblicher?
Der Sultan legte den Kopf schief. »Ein Stock, sagst du?«
Quiocet nickte und führte nun vor, wie man einen Vexierring, ganz intakt, vom Finger auf einen Stock schieben kann. »Das ist den Ehebrecherinnen hier in der Stadt nicht unbekannt … Ich habe in meinem Kabinett immer nur den Ärmsten geholfen, denen der Ring durch ein Ungeschick oder die Machenschaften Dritter auseinander gefallen war.«
Der Sultan sah seine Tochter an, die wieder ganz gelassen und schön war.
»Vater«, sagte sie, »ich bin ohne Schuld. Lass mich nicht für das Verbrechen, dir eine Freude machen zu wollen, sterben!«
Quiocet schien das ein bisschen zu dick aufgetragen. Doch ein rascher Blick in sein Gesicht sagte ihr, dass es ins Schwarze getroffen hatte.
»Sag, was muss ich tun!«, seufzte der Sultan.
»Verkünde, dass derlei Eheringe keinen schlüssigen Beweis für Untreue liefern. Damit rettest du deiner Tochter und anderen unglücklichen, aber ehrbaren Frauen das Leben. Du wirst als Iswara der Gerechte gerühmt werden. Warne die Männer vor den Tricks der Ehebrecherinnen … und du wirst Iswara der Weise genannt werden. Und tu allen kund, dass nur ein Richter, nach einem fairen Prozess, über Leben und Tod einer Frau befinden kann, nicht aber ein totes Objekt …«
Der Sultan sah missmutig drein: Der Gesetzesvorschlag gefiel ihm gar nicht. »Diese Trauringe stehen für tausend Jahre der Tradition. «
»Tausend Jahre der Torheit. Deine Pflicht als Sultan ist es, dem Volk das Licht der Vernunft zu bringen, nicht wahr?«
So sprach Quiocet, und da sah sie auch, wie die Sultana den strengen Vater anblickte, mit feuchten braunen Augen um ein Einsehen bat. Wie geschickt sie sich anstellte! Wo war bloß diese stolze junge Frau geblieben, die sie da am Abend zuvor kennen gelernt hatte?
»Schön«, murmelte der Sultan endlich. »Keine Frau soll durch einen Ring verurteilt werden. Sein Zustand kann kein Beweis für ein Verbrechen sein.« Aber der Gedanke an die Empörung, die seine Erklärung auslösen würde – nicht zuletzt in seinem Hause, wenn nämlich sein Schwiegersohn deren Ursache erführe – ließ ihn mürrisch die Unterlippe kräuseln.
Da zog aber der Priester mild lächelnd eine Schreibtafel aus seiner Robe.
Der Sultan sah Quiocet böse an – und da begriff sie, dass das Spiel der Sultana seinen krönenden Abschluss fand … Jedem im Raum war ja bewusst, dass Bikkhu, der Priester Amans, auch der höchste Scriptor des Ordens war.
Die Sultana grinste ihren Vater an, umschlang seine Knie und sagte: »Weil also Quiocets Tun kein Verbrechen mehr ist, ist sie wohl wieder frei.« Dann umarmte und umhalste sie ihn und fragte: »Oh, wann hat je eine Tochter einen so mit Weisheit gesegneten Vater gehabt wie ich?«
Ihr Vater ließ sich durch ihr munteres Getue nicht ablenken. Er bekam ganz dunkle Augen und musterte Quiocet böse. »Nun durchschaue ich dies«, fauchte er und stieß seine Tochter von seinem Schoß. »Du hast sie dazu angestachelt!«
Aber da beendete der Priester seine Niederschrift und hielt dem Sultan seinen Erlass zur Unterzeichnung hin. Unterschrieben und besiegelt, würde diese Tafel mit anderen heiligen Schriften dann im Tempel Amans aufbewahrt werden.
Quiocet lächelte – um nicht geradeheraus zu lachen. »O nein, mein Sultan. Das war nicht mein Werk. Deine Tochter war doch schon immer, genau wie ihre Mutter, eine kluge Frau.«